Der lange Weg zum "beratenden Katalog"
Unter Discovery-Interessierten machte letzte Woche ein Video die Runde, in dem vier US-amerikanische Experten die Zukunftsperspektive für diese bibliothekarische Dienstleistung beleuchten. Wer eine gute Stunde Zeit hat, kann sich einige grundsätzliche Überlegungen dazu anhören, ob ein Discovery-System nur lokal vorhandenen Content auffindbar machen oder auch (und wenn ja wie) weitere bibliografische Nachweise enthalten solle oder einen Blick auf die Potenzial von künstlicher Intelligenz bei der Anreicherung von Daten werfen.
Mich hat besonders der Vortrag von William Mischo von der Bibliothek der University of Illinois nachdenklich gemacht, der vorgestellt hat, wie er in dem dortigen Discovery-System Ergebnislisten im Bento-Stil produziert – also Ergebnisse zu einer Suchanfrage aus ganz unterschiedlichen Quellen sowie weitere Dienste wie Empfehlungen oder Chat-Services in unterschiedlichen Boxen aufbereitet. Der Bento-Stil ist anscheinend bei den US-amerikanischen Bibliotheken sehr verbreitet, und tatsächlich sorgen die Boxen für eine gute Aufgeräumtheit von Oberflächen, insbesondere dann, wenn mehr als nur der lokale Bestand durchsucht werden soll. Warum ich dennoch nicht überzeugt bin? Vielleicht aufgrund meiner sehr alten Überzeugung, dass diese Aufgeräumtheit nur eine vermeintliche Sicherheit schafft – insbesondere bei Bibliothekar*innen, denen die Trennung nach Formaten und Quellen gut gefallen dürfte- so jedenfalls habe ich das 2012 schon mal in meinem Plädoyer gegen Lösungen mit zwei Reitern – eine eher milde Variante von Bento-Boxen mit Trennung der Treffermenge in Artikel und Bücher - sehr leidenschaftlich diskutiert.
Die eigene Datenlage aus Illinois spricht aber meines Erachtens in gewisser Weise auch gegen die Bento-Boxen: Knapp 65% aller Suchen dort, so haben ausführliche Logfile-Analysen gezeigt, sind „Known-Item“-Suchen. Erzeugen da Bento-Boxen nicht viel zu viel Ballast, habe ich mich gefragt? Aus den Usability-Tests in der frühen Phase des Hamburger beluga-Projektes habe ich immer noch die Studierenden vor Augen, die wirklich sehr ratlos auf bedeutend weniger komplexe Oberflächen starrten und Sachen sagten wie: „Das hilft mir jetzt gar nicht“.
Was aber hilft, wenn jemand Beratung braucht? Vor Kurzem gab es auf Twitter eine ganz interessante (und außergewöhnliche lange) Diskussion zu der Frage, wie man einen „intuitiven Weg zu Einstiegs- und Referenzinhalten“ anbieten kann, die der Zürcher Bibliotheksdirektor Christian Oesterheld angestoßen hatte. In der Diskussion ging es um viele Beispiele, die offenbar *nicht* funktionieren, und man war sich immerhin einig, dass gute Lösungen auf jeden Fall den Input der Nutzenden erfordern und auch mit diesen getestet werden müssen. Auf die Frage danach, wie man die thematische Suche insbesondere für relativ unbedarfte Recherchierende gut gestaltet, gibt es noch keine wirklich überzeugenden Antworten. Mein Lieblingsansatz für den „beratenden Katalog“ sind tatsächlich nach wie vor kuratierte Listen – seien es solche von Fachreferent*innen oder die aus Seminarapparaten oder Kursbeschreibungen. Diese Listen könnten hübsch und nach Studienfächern aufbereitet werden, und die einzelnen Einträge so gekennzeichnet werden, dass sie für eine Bevorzugung im Ranking herangezogen werden können. Dass ein Discovery-Tool eine echte lokale Relevanz hat, die dadurch erlebbar wird, dass Expert*innen vor Ort ihr Wissen einfließen lassen, scheint mir sehr entscheidend zu sein – neben einer grundsätzlichen Offenheit dafür, sich die Anforderungen der eben etwas salopp als „unbedarften Recherchierenden“ bezeichneten Nutzenden konsequent zu stellen. Wer schon ein gewisses Vorwissen über wissenschaftliche Fragen mitbringt, kann bedeutend schneller Neues von Altem, Relevantes von Rauschen unterscheiden als das bei einem Gros derer der Fall ist, für die die Discovery-Systeme eigentlich gemacht sind.