Discovery und Delivery aus
nicht-bibliothekarischer Hand

Eine Konkurrenzbeobachtung

Es ist schon bald 8 Jahre her, dass der niederländische Kollege Lukas Koster die Discovery-Tools aus Bibliothekshand als bloßes „Rückzugsgefecht“ bezeichnet hat. Leider sind seine damals geäußerten Kritikpunkte immer noch gültig – das entdeckende Suchen wird von den gängigen Systemen noch immer nicht überzeugend unterstützt. Nach wie vor fehlen Browsing-Einstiege, die auf die lokalen Bedarfe zugeschnitten sind und nicht nur riesige Systematiken abbilden. Und es fehlen Tools in den Systemen, die Treffermengen analysieren, zusammenfassen und visualisieren.

Im Code4Lib-Journal erschien kürzlich ein Artikel eines US-amerikanischen Auskunftsbibliothekars, der beschrieb, wie er mit Hilfe frei verfügbarer Visualisierungslösungen und Datenexporten aus kommerziellen Discovery-Systemen Zitations-Landkarten erstellt und diese Fertigkeiten z.B. an Promovierende vermittelt. Dieser Artikel zeigt jedenfalls eindeutig, dass es Bibliothekar*innen nicht an brillanten Ideen mangelt.

Gleichzeitig galoppieren die kommerziellen Discovery-Systeme immer weiter voraus. Zu Recherchezwecken kostenfrei nutzbare Plattforen wie Dimensions oder Lens.org haben beide Features zur Analyse und Visualisierung von Treffermengen – was insbesondere bei The Lens auch Sinn macht, denn hinter diesem Service dürfte die nach Google Scholar größte Datenmenge stehen, nämlich aktuell etwa unglaubliche 208 Millionen Datensätze. Da kommen Dimensions oder Web of Science und Scopus nicht mit (zwischen 70-105 Millionen), wohl aber der K10plus Zentral mit derzeit 213 Millionen Datensätzen- von denen wiederum ein großer Teil, nämlich die 51,2 Millionen Bestandsnachweise aus den GBV-Bibliotheken, nicht über die aufgezählte Konkurrenz entdeckbar sein dürfte...

Wenn man sich jedoch einmal einliest in die speziellen Suchmöglichkeiten, die z.B. Dimensions, The Lens und Co. bieten, wird die funktionale Überlegenheit dieser Systeme überdeutlich. Aaron Tay hat ausführlich dazu gebloggt – sowohl generell zum „Rise of Open Discovery Indexes“ als auch zu einzelnen Möglichkeiten der Suche nach Übersichtsartikeln (ein altes Lieblingsthema von mir) oder Forschungsdaten (da dann auch im interessanten Vergleich mit der neuen Dataset Search von Google).

Ich bedauere etwas, dass beim diesjährigen Bibliothekartag nur relativ wenig Platz für das Thema Discovery zu sein scheint – aber ich erhoffe mir von den allerorts entstehenden Plattformen für Forschungsinformationen und -daten durchaus auch noch mal Rückenwind für die Discovery-Systeme und ihre Funktionalitäten für das entdeckende Suchen. Aber vielleicht gilt es auch, sich noch einmal neu zu dem Thema zu positionieren: Was für ein Produkt soll ein Discovery-System eigentlich sein – ein OPAC mit Facelift ist schon auch eine akzeptable Sache und immer noch keine unbedingt niedrig hängende Frucht. In diesem Fall muss aber umso mehr geschaut werden, welche Angebote der Markt ansonsten noch bereithält, um dann klar definieren zu können, welche Informationsbedarfe man mit dem Discovery-System bedient und welche dann eben mit anderen Plattformen.

Mit einem etwas unguten Gefühl habe ich aber die kommerzielle Konkurrenz auf dem Link Resolving-Sektor zur Kenntnis genommen: Die großen Wissenschaftsverlage entwickeln gemeinsam einen Service namens GetFullTextResearch, mit dem auf Basis bestehenden Authentifizierungs-Lösungen wie Shibboleth bestmögliche Zugangslinks bereitgestellt werden – nicht eigentlich ein Link Resolver, mehr so eine Art „Middleware“, vermutlich, und vielleicht ein neuer Spieler auf dem Feld von Delivery, der anderen Seite der Discovery-Medaille, bei der es eine möglichst geschmeidige, verständliche, transparente und datensichere Zugänglichmachung von wissenschaftlicher Information geht. Und wie bei Discovery denke ich auch da, dass bibliothekarische Expertise und Unabhängigkeit eigentlich unverzichtbar sind. Allerdings erfordern sowohl die Entwicklung von eigenen Discovery-Lösungen als auch die  von Link Resolvern auch, dass Bibliotheken bereit sind, gewisse Risiken einzugehen – klare Produktstrategien zu entwickeln zum Beispiel, oder auch: Nicht gleich mit Perfektion starten zu wollen. Denn was die kommerzielle Konkurrenz gemein hat, ist neben vielen guten Ideen auch ihre Bereitschaft zu einer gewissen Unfertigkeit.

geschrieben von Anne Christensen

Anne Christensen hat Bibliotheks- und Informationswissenschaften studiert und über 20 Jahre Berufserfahrung als Bibliothekarin.
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